Der Weg zum Elektromobil auf Rezept

Einleitung: Wann gilt ein Elektromobil als Hilfsmittel?

Ein Elektromobil gilt als Hilfsmittel, wenn es die grundlegende Mobilität im Alltag sicherstellt – also vor allem dann, wenn Wege des täglichen Lebens ohne motorisierte Unterstützung nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Schmerzen und Risiken möglich sind. Gemeint sind insbesondere Besorgungen im Wohnumfeld wie der Weg zum Supermarkt, zur Apotheke, zum Haus- oder Facharzt sowie soziale Teilhabe im Nahbereich. Das Elektromobil dient dabei nicht der Bequemlichkeit, sondern dem Ausgleich einer gesundheitlich bedingten Einschränkung.

Definition und Abgrenzung zum E-Rollstuhl

Elektromobile (häufig „Scooter“ genannt) sind in der Regel vierrädrige, lenkstangengesteuerte Fahrzeuge für Außenstrecken mit Sitz. Sie unterscheiden sich von elektrischen Rollstühlen, die meist joystickgesteuert sind, engere Wendekreise haben und auch für die Nutzung in Innenräumen sowie bei höherem pflegerischem Unterstützungsbedarf konzipiert wurden. Während der E-Rollstuhl oft ein Ganz-Tages-Mobilitätssystem darstellt, ist das Elektromobil primär für Wege außerhalb der Wohnung gedacht. Die Wahl des Hilfsmittels richtet sich stets nach der individuellen Eignung und dem medizinischen Bedarf.

Gesetzliche Grundlage: Der Anspruch nach § 33 SGB V

Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln ergibt sich aus § 33 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf notwendige Hilfsmittel, die den Erfolg der Krankenbehandlung sichern, einer Behinderung vorbeugen oder eine Behinderung ausgleichen. Beim Elektromobil steht regelmäßig der Behinderungsausgleich im Vordergrund: Es soll die Basismobilität wiederherstellen, nicht Komfortfunktionen erfüllen. Entscheidend ist, ob ohne das Hilfsmittel ein Grundbedürfnis – hier: selbstständige Fortbewegung im Nahbereich – nicht hinreichend erfüllt werden kann.

Medizinische Voraussetzungen für die Kostenübernahme

Medizinisch notwendig ist ein Elektromobil, wenn die Gehfähigkeit dauerhaft oder auf absehbare Zeit so eingeschränkt ist, dass alltagsrelevante Außenwege nicht mehr zumutbar zu Fuß oder mit einfacheren Hilfen bewältigt werden können. Die Krankenkasse prüft dabei, ob die Versorgung erforderlich, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Maßstab ist nicht die maximale, sondern die zumutbare Gehstrecke im Alltag unter realistischen Bedingungen (Witterung, Gehwege, Steigungen).

Wann ist ein Elektromobil „medizinisch notwendig“?

Von medizinischer Notwendigkeit ist auszugehen, wenn ohne Elektromobil wesentliche Grundbedürfnisse außerhalb der Wohnung nicht erreichbar sind. Typische Beispiele sind chronische Herz-Kreislauf-, orthopädische oder neurologische Erkrankungen, die die schmerzfreie oder sichere Fortbewegung limitieren, sowie starke Belastungsdyspnoe, Sturzgefährdung oder relevante Kraft- und Gleichgewichtsstörungen.

Eingeschränkte Gehfähigkeit – innen und außen

Es kommt nicht nur auf die Wohnung an: Maßgeblich ist die Fähigkeit, den Nahbereich zu erschließen. Wer kurze Strecken in der Wohnung schafft, im Außenbereich aber bereits auf minimalen Distanzen scheitert, kann trotzdem anspruchsberechtigt sein, sofern dadurch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Selbstversorgung beeinträchtigt sind.

Unfähigkeit, andere Mobilitätshilfen zu nutzen

Ein Elektromobil kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Rollator keine ausreichende Reichweite oder Sicherheit bietet oder ein (Hand-)Rollstuhl mangels Arm-/Schulterkraft, Koordination oder Begleitperson nicht praktikabel ist. Ebenso relevant ist, ob ein E-Rollstuhl im Einzelfall ungeeignet oder unverhältnismäßig wäre.

Körperliche und geistige Eignung

Versicherte müssen das Elektromobil sicher bedienen können. Dazu zählen ausreichende Reaktionsfähigkeit, Orientierung, Seh- und Hörvermögen sowie die Fähigkeit, Verkehrsregeln im Fußgängerbereich zu beachten. Bei kognitiven Einschränkungen ist eine realistische Einschätzung der Fahrsicherheit notwendig; gegebenenfalls kann ein Fahrtraining im Sanitätshaus unterstützen.

Die Rolle des Arztes: Das Rezept (ärztliche Verordnung)

Der erste Schritt ist der Besuch beim behandelnden Arzt. Wichtig ist eine detaillierte Begründung auf der Verordnung: Sie sollte die Diagnose(n), die funktionellen Einschränkungen, die alltagsrelevanten Wege und die fehlende Eignung einfacherer Hilfsmittel benennen. Zur Verdeutlichung hilft eine kurze Beschreibung typischer Wegstrecken (z. B. 600 m zur Hausarztpraxis, 800 m zum Supermarkt) und der daraus resultierenden Teilhabeeinschränkungen.
Die Verordnung sollte ausdrücklich auf ein Elektromobil mit Höchstgeschwindigkeit bis 6 km/h abzielen, da nur solche Modelle in der Regel als Hilfsmittel übernommen werden. Höhere Geschwindigkeiten gelten regelmäßig als „Gebrauchsgegenstand“ bzw. Komfort und sind nicht kassenfähig.

Der Antragsprozess bei der Krankenkasse (Schritt für Schritt)

Nach der Verordnung wählen Versicherte idealerweise ein Sanitätshaus bzw. einen Fachhändler, der Vertragspartner der eigenen Krankenkasse ist. Dieser Leistungserbringer prüft die Eignung, berät zur Modellauswahl und reicht den Antrag samt Kostenvoranschlag bei der Krankenkasse ein. Häufig erfolgt zusätzlich eine wohnumfeldbezogene Einweisung oder Probefahrt.
Die Krankenkasse kann den Medizinischen Dienst (MD) beteiligen, um die medizinische Notwendigkeit zu begutachten. Dabei werden oft die Diagnose, die Mobilität im Außenbereich, die Eignung zur Bedienung und die Alternativen bewertet. Nach der Entscheidung informiert die Kasse den Versicherten schriftlich. Im Falle der Bewilligung koordiniert das Sanitätshaus die Auslieferung und Einweisung.

Kosten und Zuzahlungen

Für Hilfsmittel fällt in der Regel eine gesetzliche Zuzahlung an, üblicherweise 10 Euro je Versorgung, es sei denn, eine Befreiung liegt vor. Die Kasse übernimmt beim genehmigten „Kassenmodell“ die Kosten der Grundversorgung; dabei handelt es sich oft um ein wiederaufbereitetes Gerät. Reparaturen und Wartungen, die dem Erhalt der Funktion dienen, sind typischerweise Bestandteil der Versorgung, soweit vertraglich geregelt. Laufende Betriebskosten wie Strom sind in der Regel privat zu tragen.
Wer ein schnelleres, optisch aufgewertetes oder besonders komfortables Modell wünscht, kann dies – sofern medizinisch nicht erforderlich – gegen private Aufzahlung wählen. Die Kasse zahlt dann bis zur Höhe der bewilligten Sachleistung; die Differenz trägt der Versicherte.

Wichtige Kriterien für das verordnungsfähige Elektromobil

Hilfsmittelrelevante Modelle verfügen üblicherweise über eine Listung im Hilfsmittelverzeichnis (Hilfsmittelnummer) und erfüllen die Anforderungen an Sicherheit, Stabilität und einfache Bedienbarkeit. Das „Kassenmodell“ ist zweckmäßig, robust und auf die Grundbedürfnisse ausgerichtet; Komfortextras sind nachrangig.
Erforderlich ist außerdem eine geeignete Unterbringung: Das Elektromobil muss diebstahl- und witterungsgeschützt abgestellt und sicher geladen werden können. Manche Kassen erfragen hierzu Fotos oder eine kurze Bestätigung, dass ein entsprechender Platz (z. B. Abstellraum, Garage, abschließbarer Fahrrad-/Rollerraum) vorhanden ist.

Was tun bei Ablehnung? Das Widerspruchsverfahren

Lehnt die Krankenkasse ab, können Versicherte Widerspruch einlegen. Die Frist beträgt in der Regel einen Monat ab Zugang des Bescheides. Der Widerspruch sollte schriftlich erfolgen und sich konkret mit den Ablehnungsgründen auseinandersetzen. Sinnvoll ist eine ergänzende ärztliche Stellungnahme, die die Alltagswege, die unzureichende Eignung einfacher Hilfen und die persönliche Bedienfähigkeit nochmals belegt. Gegebenenfalls helfen Berichte aus Physiotherapie/Ergotherapie, ein Protokoll von Gehstrecken und Belastungssymptomen oder ein Kurzbericht des Sanitätshauses (z. B. zur Probefahrt).
Bleibt der Widerspruch erfolglos, ist der Klageweg vor dem Sozialgericht möglich. Aufgrund der Verfahrensdauer lohnt es sich, bereits im Widerspruch möglichst konkret und vollumfänglich zu begründen.

Alternativen zur Kassenleistung

Wer unabhängig von der Kassenentscheidung mobil sein möchte oder nicht die Kriterien für eine Hilfsmittelversorgung erfüllt, kann ein Elektromobil privat anschaffen. Je nach persönlicher Situation kommen steuerliche Erleichterungen in Betracht (z. B. außergewöhnliche Belastungen), wofür in der Regel medizinische Nachweise und Belege erforderlich sind. Alternativ bieten manche Fachhändler Miet- oder Leasingmodelle an – etwa zur Überbrückung bis zur Kassenentscheidung oder für saisonale Nutzung. Auch eine zeitlich befristete Versorgung (Miete) kann helfen, die Eignung im Alltag praktisch zu erproben.

Praktische Tipps zum Schluss

Bewährt hat sich, bereits vor dem Arzttermin die wichtigsten Alltagwege zu notieren und kurz zu beschreiben, warum Rollator oder (Hand-)Rollstuhl nicht ausreichen. Eine Probefahrt im Sanitätshaus erleichtert die Modellauswahl und die Begründung. Nach Antragstellung lohnt es sich, erreichbar zu sein, falls Rückfragen der Kasse oder des Medizinischen Dienstes kommen. Und: Auf die 6-km/h-Grenze achten – sie ist für die Kassenfähigkeit regelmäßig ausschlaggebend.

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